Lenkungsdokumente
In Belgien ist die Vorschulerziehung im Kindergarten inzwischen ein vollwertiger, integrierter Bestandteil des allgemeinen Erziehungs- und Bildungssystems geworden. Die Mehrheit der Gesetze und Regelungen bezüglich des Kindergartens sind die gleichen wie jene für die Primarschule. In den meisten Fällen gelten die Richtlinien für die gesamte Grundschule, also für den Kindergarten und für die Primarschule. Die gesetzlichen Bestimmungen sind am 26. April 1999 in einem Dekret über das Regelgrundschulwesen neu formuliert und festgelegt worden.
In diesem Dekret werden Normen bezüglich Gründung, Schließung, Wiedereröffnung, Fusion, Neugliederung, Stellenberechnung, Zulassungsbedingungen, Organisation der Arbeitszeit und Angaben zum Unterrichtsangebot einheitlich und verbindlich für alle Grundschulen, d.h. Kindergärten und Primarschulen, festgelegt.
Die allgemeinen Ziele sind für das gesamte Grundschulwesen (Kindergarten und Primarschule) festgelegt und lauten wie folgt:
- Die Grundschule ist an der Entfaltung des Kindes beteiligt, indem sie dafür sorgt, dass die persönliche Entwicklung des Kindes und die Lernprozesse einander bestmöglich ergänzen;
- Sie ist durch schülerzentrierten Unterricht an der Erarbeitung von Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten beteiligt;
- Sie ist an der Sozialisierung des Kindes beteiligt: das Kind lernt, was es bedeutet, Bürger einer Gesellschaft zu sein. Dabei unterstützt die Schule die Integration des Kindes in die Gesellschaft und entwickelt Verhaltensweisen und Fähigkeiten, damit es schon sehr früh aktiv an der Entwicklung der Gesellschaft, in der es lebt, teilnehmen kann. Die Schule achtet auf den Respekt der Identität des Kindes.
- Der Kindergarten verfolgt das Ziel, den Reifeprozess anzuregen, die Selbstständigkeit und das Verantwortungsbewusstsein der Kinder zu entwickeln, damit sie mit Erfolgschancen die grundlegenden Lernprozesse schon zu Beginn der Primarschule in Angriff nehmen können.
- Der Kindergarten stellt ebenfalls die erste Phase des Erlernens von sozialen Verhaltensweisen dar. Es gilt, Selbstständigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zusammenarbeit bei den Kindern zu entwickeln.
Diese allgemeinen Ziele beinhalten:
- sozial-affektive Ziele: das Kind bei seiner Entfaltung unterstützen, ihm helfen, sich zu akzeptieren, sich kennen zu lernen (durch Motivierung, Zeigen der Grenzen, Betonung seiner Erfolge, durch das Begreifen der Folgen seiner Handlungen);
- intellektuelle Ziele: dem Kind durch vielfältige Erfahrungen helfen, indem man es dazu bringt, seine synkretische Wahrnehmung nach und nach zu überwinden (durch Beobachtung, Experimentierung, Entwicklung seiner Sprache);
- psychomotorische Ziele: dem Kind helfen, sich besser kennen zu lernen und Vertrauen in sich selbst zu gewinnen (durch Körperausdruck);
- künstlerische Ziele: das Kind auf die Schönheit, die Poesie aufmerksam machen, seinen Kunstsinn und seinen Ästhetiksinn entwickeln, ihm Raum für seine Kreativität geben.
Die katholischen Schulen des freien subventionierten Unterrichtswesens verfolgen zusätzlich Ziele religiöser Natur, die in ihrem Erziehungsprojekt begründet sind.
Bereiche des Lernens und der Entwicklung
Ein Aktivitätenplan ist am 1. September 2004 für alle Kindergärten in der DG in Kraft getreten. Er entspricht den Empfehlungen des Dekretes vom 16. Dezember 2002 bezüglich der Festlegung der Entwicklungsziele für den Kindergarten [...]. In Anlehnung an die Entwicklungsziele definiert der Aktivitätenplan folgende Fachgebiete:
Muttersprache:
- • Zuhören und sprechen
- • Lesen und schreiben
Fremdsprachliche Aktivitäten:
- • Zuhören und verstehen
- • Sprechen
Psychomotorik:
- • Motorische Kompetenzen
- • Bewegung und Gesundheit
- • Bewegung und Sozialisierung
Weltorientierung:
- • Das Kind als Individuum
- • Das Kind und die Natur
- • Das Kind und die Gesellschaft
- • Das Kind und die Technologie
- • Das Kind und die Zeit-Raum-Dimension
Musische Bildung:
- • Ausdruck und Bewegung im darstellenden Spiel: Musik und Tanz
- • Bildende Kunst
Entwicklung des mathematischen Denkens:
- • Größen und Maße
- • Zahlen und Operationsbegriffe
Der Aktivitätenplan wurde durch eine Arbeitsgruppe erstellt, die Zielvorgaben berücksichtigt hat und sich auf zahlreiche wissenschaftliche Texte und Praxisstudien aus dem In- und Ausland gestützt. Er wurde allen Lehrkräften in den Kindergärten der Gemeinden und der Gemeinschaft zur Begutachtung verteilt sowie der Abteilung Bildungswissenschaften der Autonomen Hochschule in der Deutschsprachigen Gemeinschaft (seit 2020 Autonome Hochschule Ostbelgien) zur Stellungnahme vorgelegt.
Eigentlich beginnen die Kinder erst im ersten Jahr der Primarschule, d.h. im Alter von 6 Jahren, das Lesen zu lernen. Sie werden jedoch bereits im Kindergarten in das Lesen eingeführt, nicht etwa durch einen verfrühten oder erzwungenen formalen Unterricht, sondern durch den Erwerb funktionaler Fähigkeiten mittels der Erforschung der schriftlichen Umgebung, in der sich das Kind befindet und in der nicht-formelle Lernprozesse gefördert werden sollen, die durch das Leben, durch die Tätigkeit oder durch das Spiel auf natürliche Weise entstehen.
Die Einführung in die Welt der Zahlen erfolgt unter den gleichen Bedingungen.
Der Aktivitätenplan für den Kindergarten sieht keine strikte Zeitaufteilung vor: Die Anzahl Stunden, die den verschiedenen Fächern zu widmen sind, ist nicht festgelegt. Viele Lehrer messen dem regelmäßigen Wechsel von statischen zu aktiveren Übungen eine große Bedeutung bei. Die Zeitplanung weist große Unterschiede von einer Kindergartenklasse zur anderen auf.
Fremdsprachliche Aktivitäten sind im Dekret vom 19. April 2004 über Vermittlung und den Gebrauch der Sprachen im Unterrichtswesen vorgeschrieben. Es sind wöchentlich mindestens 50 und höchstens 200 Minuten festgelegt worden, was es ermöglicht, an jedem Tag eine 10- bis 40-minütige Aktivität in der ersten Fremdsprache Französisch durchzuführen. Seit September 2011 besteht die Möglichkeit, unter bestimmten Bedingungen biligualen Unterricht auch schon im Kindergarten anzubieten.
Pädagogische Ansätze
Die angewandten Methoden zielen eher auf Begriffsbildung denn auf Wissensvermittlung ab. Dabei steht das Spiel im Zentrum des pädagogischen Handelns. In den offiziellen Texten werden die Aufnahme des Kindes, seine gründliche Beobachtung und das Anhören des Kindes als die pädagogischen Stützen bei der Arbeit an der Entfaltung des jungen Menschen betrachtet. Der Rhythmus eines jeden Kindes sollte immer beachtet werden und alle Aktivitäten sind stets in einen funktionalen Rahmen einzubinden.
Der Aktivitätenplan empfiehlt eine gute Zusammenarbeit der verschiedenen Mitglieder des Lehrkörpers, eine auf Kontinuität ausgerichtete Zusammenarbeit der Vorschul- und Primarschullehrer sowie Interaktionen zwischen Schule und Familie. Die Kinder lernen spielerisch in speziell eingerichteten Räumlichkeiten. Die geläufigsten Einrichtungsgegenstände und Materialien sind Spieltische, Spielsachen, Bücher, Malkästen und Material für psychomotorische Aktivitäten. Es gibt auch ein Spielgelände im Freien. Die meisten Bildungseinrichtungen verfügen außerdem über Videomaterial und Aufnahmegeräte, neuerdings auch Computer.
Im Allgemeinen werden für gewisse Aktivitäten spezifische Räume bzw. Plätze bestimmt:
- • affektiver Raum: in Sicherheit wiegen, Erarbeitung von Gedanken, Tabelle bezüglich der Aufgabenverteilung in der Gruppe;
- • kreativer Raum: für Spiele, zeichnerische Darstellung, Körperausdruck, der die Festigung der eigenen Persönlichkeit zum Ziel hat;
- • kognitiver Raum: Experimentiermöglichkeit (Pflanzen, Tiere sind vorhanden), Bibliothek, Fernsehen, Computer;
- • Psychomotorikraum: Möglichkeit des Abreagierens, des Aufbaus der Vernunft, der Zärtlichkeit (Kissen, Stofftiere.).
Der Aktivitätenplan betont die Verwirklichung von Projekten, die den Interessen und Bedürfnissen der Kinder angepasst sind.
Das Projekt ermöglicht die Handlung, die Annahme und die freiwillige Teilnahme im Hinblick auf das Erreichen der gesteckten Ziele. Die Schüler werden in Gruppen aufgeteilt, die in den verschiedenen, vom Lehrer organisierten Ateliers tätig werden (z.B. Malen, Baukasten, Bibliothek, Mathematik, Anregung, Rollenspiele, Puppen, Geschäfte)
Der vorgeschlagene Tagesablauf sieht folgendermaßen aus:
- • Empfang der Kinder: Lieder, freier mündlicher Ausdruck;
- • Tagesplan: Planung und Entscheidung über die Tagesaktivitäten;
- • Aktivitäten, die in Ateliers organisiert werden.
Aus Untersuchungen geht hervor, dass lediglich ein Drittel der Aktivitäten von Kleingruppen verwirklicht werden. Ateliers werden wenn eben möglich in Gruppen von weniger als 15 Schülern organisiert.
Kleine Anmerkung für die Kinder unter 3
Jede Einrichtung ist frei bei der Aufstellung ihres Erziehungsprogramms und ihres Beschäftigungsangebots. Das Ministerium der DG gibt keine spezifischen Vorschriften an. Der Erlass der Regierung vom 22. Mai 2014 über die Dienste und andere Formen der Kinderbetreuung sieht jedoch im Artikel 2 §1 Folgendes vor: „Gemäß Artikel 6 des Dekrets muss jeder von diesem Erlass betroffene Dienstleister, der eine Kinderbetreuung anbietet, vor Aufnahme der Tätigkeit in Ausführung des vorliegenden Erlasses anerkannt sein.“
Zwecks Anerkennung reichen die Dienstleister einen Antrag bei der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft ein.
Bewertung
Im Grundlagendekret vom 31. August 1998 ist die Bewertung als ein wesentlicher Bestandteil des Lehr- und Lernprozesses beschrieben, der dazu dient, den Entwicklungsstand eines jeden Schülers festzustellen.
Im Kindergarten gibt es ausschließlich formative Evaluation. Bei der formativen Evaluation werden fortlaufend Informationen zum Entwicklungsstand und/oder Entwicklungsfortschritt der Schüler gesammelt. Sie ist somit diagnostisch und dient dazu, das Lernen zu verbessern.
Die Entwicklungsziele, die im Kindergarten verfolgt werden, bilden die Grundlage der formativen Evaluation.
Diese Evaluation stützt sich auf die Beobachtung des Kindes.
Das Ergebnis der Bewertung wird in regelmäßigen Zeitabständen schriftlich festgehalten und kommentiert.
Die Erziehungsberechtigten werden über die Entwicklung ihres Kindes informiert.
In manchen Fällen überprüfen Kindergärten die Bereitschaft der Kinder, eingeschult zu werden. Das Dekret vom 26.04.1999 über das Grundschulwesen sieht vor, dass die Zulassung in die Primarschule um ein Schuljahr vorgezogen oder verspätet werden kann. Die Erziehungsberechtigten treffen eine entsprechende Entscheidung nach Kenntnisnahme eines begründeten Gutachtens des Klassenrates und von Kaleido Ostbelgien. Bei einem Kind, das noch keinen Kindergarten besucht hat, ist lediglich das Gutachten von Kaleido Ostbelgien erforderlich.
Übergang zur Grundschule
Siehe Oben.