Dieses Kapitel bietet einen Überblick über laufende Reformen und Politikentwicklungen auf nationaler Ebene im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung seit 2019.
In der Einleitung werden die umfassende bildungspolitische Strategie sowie die Schlüsselziele für das gesamte Bildungswesen beschrieben. Zugleich wird betrachtet, wie der Reformprozess organisiert ist und wer die Hauptakteure des Entscheidungsprozesses sind.
Der Abschnitt zu laufenden Reformen und Politikentwicklungen ordnet die Reformen den folgenden breiten Themengebieten zu, die im Großen und Ganzen den Bildungsbereichen entsprechen:
- Frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung
- Schulbildung
- Berufsausbildung und Erwachsenenbildung
- Hochschulbildung
- Querschnittsfertigkeiten und Beschäftigungsfähigkeit
Innerhalb der Themengebiete werden die Reformmaßnahmen in chronologischer Abfolge beschrieben. Dabei stehen die jüngsten Reformmaßnahmen an erster Stelle. Auch die Maßnahmen zum Umgang mit dem Corona-Virus werden hier dargestellt.
Zum Schluss führt der Abschnitt über die europäische Perspektive Verweise zu Strategien auf europäischer Ebene auf, in denen der allgemeinen und beruflichen Bildung eine prominente Rolle zukommt.
Übergreifende nationale Bildungsstrategie und Kernziele
In Deutschland besteht Übereinstimmung darin, dass es angesichts des demographischen Wandels und mit Blick auf den sich abzeichnenden Fachkräftebedarf, aber auch aufgrund der Herausforderungen der Digitalisierung in den kommenden Jahren großer Anstrengungen zur Weiterentwicklung des deutschen Bildungssystems bedarf.
In Verbindung mit der „Vereinbarung über die gemeinsame Grundstruktur des Schulwesens und die gesamtstaatliche Verantwortung der Länder in zentralen bildungspolitischen Fragen“ vom Februar 2021 haben sich die Länder in der Kultusministerkonferenz (KMK) auf eine Reihe von „Politischen Vorhaben“ verständigt, die in den nächsten Jahren umgesetzt werden sollen. Exemplarisch sind zu nennen:
- Im Bereich der Qualitätssicherung verpflichten sich die Länder, die in der Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz beschriebenen Instrumente zu nutzen und sie in landesspezifische, kohärente Systeme der Qualitätssicherung und -entwicklung einzubinden.
- Die Länder verfolgen die in der Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ und dem DigitalPakt Schule 2019–2024vereinbarten Ziele konsequent weiter.
- Die Kultusministerkonferenz überarbeitet im Lichte der Ergebnisse der einschlägigen Schulleistungsvergleiche die „Empfehlungen zur Arbeit in der Grundschule“ bis zum Jahr 2022.
- Die Kultusministerkonferenz überarbeitet die „Vereinbarung über die Schularten und Bildungsgänge im Sekundarbereich I“ bis zum Jahr 2022 grundlegend und trifft dabei insbesondere verbindliche Festlegungen zur klaren Strukturierung bzw. Gliederung des Sekundarbereichs I nach Bildungsgängen.
- Die Länder gleichen ihre Rahmenvorgaben für die Gestaltung der Gymnasialen Oberstufe weiter an.
- Beim Abituraufgabenpool verständigen sich die Länder darauf, dass die Poolaufgaben und Entnahmemodalitäten so gestaltet werden, dass die Verwendbarkeit der Aufgaben für jedes Land sichergestellt wird.
- Zur Stärkung der beruflichen Schulen in einer sich rasant wandelnden Wirtschafts- und Arbeitswelt regen die Länder einen gemeinsamen „Pakt für berufliche Schulen“ an.
- Die Länder setzen ihre Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung der Lehrkräftebildung gemeinsam fort.
Als zentrales bildungs- und familienpolitisches Vorhaben hat die Bundesregierung im Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe) einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter verankert. Dieser wird beginnend mit der ersten Klassenstufe stufenweise ab 2026 eingeführt und jährlich um je eine Klassenstufe ausgeweitet. Ab 2029 gilt der Rechtsanspruch für alle Kinder der ersten bis vierten Klassenstufe. Zur Vorbereitung dieses Rechtsanspruchs unterstützt die Bundesregierung Länder und Kommunen mit Finanzhilfen für den Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote. Mit dem Beschluss „Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken“ des Koalitionsausschusses vom Juni 2020 bekräftigt und beschleunigt die Bundesregierung ihr Vorhaben und stellte bis zu 1,5 Milliarden Euro zusätzlich für den Ganztagsausbau bereit. Damit stehen nun insgesamt bis zu 3,5 Milliarden Euro an Bundesmitteln für entsprechende Investitionen in die Bildungsinfrastruktur zur Verfügung. Darüber hinaus beteiligt sich der Bund auch an den Betriebskosten. Ab 2030 ist eine dauerhafte Beteiligung des Bundes an den jährlichen Betriebskosten in Höhe von 1,3 Milliarden € vorgesehen.
Im April 2019 ist eine Änderung von Artikel 104c des Grundgesetzes in Kraft getreten, die es dem Bund ermöglicht, den Ländern Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden zur Steigerung der Leistungsfähigkeit der kommunalen Bildungsinfrastruktur zu gewähren, ohne dass die Hilfen auf "finanzschwache" Kommunen beschränkt werden. Die Änderng ermöglicht es dem Bund, gezielt kommunale Investitionen zur Sanierung, zum Umbau und zur Erweiterung von Schulgebäuden zu unterstützen. Der neue Artikel 104c ist die verfassungsrechtliche Grundlage für den DigitalPakt Schule 2019–2024, mit dem Bund und Länder unter anderem das Ziel verfolgen, zukunftstaugliche digitale Bildungsinfrastrukturen zu schaffen. Angesichts der Corona–Pandemie konnte der DigitalPakt genutzt werden, um den Herausforderungen zu begegnen, die sich durch die Verlagerung von Unterricht nach Hause gezeigt haben.
Überblick über den Bildungsreformprozess und Akteure
Die Verantwortlichkeit für das Bildungswesen in Deutschland wird durch die föderative Staatsstruktur bestimmt. Soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht, haben die Länder das Recht der Gesetzgebung, das im Bereich des Bildungswesens den Schulbereich, den Hochschulbereich, die Erwachsenenbildung und die Weiterbildung umfasst; die Verwaltung auf diesen Gebieten ist nahezu ausschließlich Angelegenheit der Länder.
Der Bund ist insbesondere für die Regelungen in folgenden Bereichen von Bildung, Wissenschaft und Forschung zuständig:
- Außerschulische berufliche Bildung
- Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse (hier können die Länder abweichende gesetzliche Regelungen treffen)
- Ausbildungsförderung
- Förderung der wissenschaftlichen Forschung und der technologischen Entwicklung
- Die öffentliche Fürsorge, die auch die Kinder- und Jugendhilfe umfasst
- Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Fernunterricht
- Berufszulassung für Juristen
- Berufszulassung für Heil- und Heilhilfsberufe
- Maßnahmen zur Arbeitsförderung sowie Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
- Maßnahmen zur Digitalisierung im Schul- und Hochschulbereich
Nähere Informationen über die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen im Bildungsbereich dem Abschnitt über Verwaltung und Steuerung auf nationaler und/oder regionaler Ebene zu entnehmen.
Das Grundgesetz sieht neben der oben beschriebenen Aufgabenabgrenzung auch Regelungen über das Zusammenwirken von Bund und Ländern im Rahmen der sogenannten Gemeinschaftsaufgaben vor. Für den Bereich Wissenschaft und Bildung sind die Gemeinschaftsaufgaben in Artikel 91b Absatz 1 und 2 GG geregelt. Danach können Bund und Länder auf Grund von Vereinbarungen in Fällen überregionaler Bedeutung bei der Förderung von Wissenschaft, Forschung und Lehre (Absatz 1) sowie zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich und bei diesbezüglichen Berichten und Empfehlungen (Absatz 2) zusammenwirken.
Der Föderalismus hat sich als Vielfalt und Wettbewerb fördernde Staatsstruktur bewährt. Bund und Länder setzen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen notwendige Maßnahmen und Initiativen eigenständig um. Gewachsen sind zugleich die ländergemeinsame Verantwortung und die Notwendigkeit, in gesamtstaatlich relevanten Handlungsfeldern Ziele und abgestimmte Maßnahmen von Bund und Ländern zu verabreden.
Laufende Reformen und Politikentwicklungen
Die folgende Darstellung bezieht sich auf von allen Ländern in der Kultusministerkonferenz gemeinsam beschlossene Maßnahmen sowie auf Maßnahmen des Bundes. In ihren eigenen Zuständigkeitsbereichen ergreifen die Länder vielfältige und umfangreiche Maßnahmen, die nicht gesondert aufgeführt werden können. Die Reformmaßnahmen der Länder, großteils mit substantieller Unterstützung oder in Kooperation mit dem Bund, betreffen insbesondere die folgenden Bereiche:
- Ausbau von Ganztagsangeboten mit dem Ziel erweiterter Bildungs- und Fördermöglichkeiten in Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter
- Maßnahmen zur Erhöhung der Bildungs- und Kompetenzniveaus benachteiligter Gruppen
- Maßnahmen zur Sicherung des Fachkräftepotenzials
- Maßnahmen zur Verbesserung der Sprachkompetenz
- Maßnahmen zur besseren Verzahnung von vorschulischem Bereich und Grundschule
- Maßnahmen zur Verbesserung der Schulbildung, Lesekompetenz und des Verständnisses mathematischer und naturwissenschaftlicher Zusammenhänge
- Maßnahmen zur Beruflichen Orientierung und zur Verbesserung des Übergangs von der Schule in den Beruf
- Maßnahmen zur besseren Verzahnung von beruflicher und universitärer Bildung
- Maßnahmen zur Erhöhung der Hochschulabsolventenquote bzw. vergleichbarer Abschlüsse
- Maßnahmen zur Digitalisierung im Schul- und Hochschulbereich
Das grundlegende Prinzip der Nachhaltigkeit soll zukünftig noch stärker im deutschen Bildungswesen verankert werden. Dazu hat die Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung im Juni 2017 den Nationalen Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) verabschiedet. Die Mitglieder der Nationalen Plattform sind für die Bundesregierung das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), für die Länder Vertreterinnen und Vertreter der Kultusministerkonferenz, der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) und der Umweltministerkonferenz (UMK) sowie für die Kommunen ein Vertreter der kommunalen Spitzenverbände. Zudem sind Entscheidungsträger aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft Mitglieder der Nationalen Plattform.